Offener Brief an Öko-Test und Udo Pollmer

Der März-2014-Ausgabe Ihres Magazins lag ein Extra-Heft zum Thema „Lebensmittel-Zusätze“ bei. Zusammengestellt wurde es vom Lebensmittelchemiker Udo Pollmer. Wohl in erster Linie, weil Pollmer sich gerne durch provokante Aussagen zu Ernährungsempfehlungen als „enfant terrible der deutschen Ernährungswissenschaft“ [1] in Szene setzt, haben einige seiner Thesen Bekanntheit erlangt – was sie allerdings nicht richtiger macht.

Primitive Vorurteile

Tatsächlich stehen einige seiner Behauptungen dem aktuellen Stand der medizinischen Forschung zur Ernährung diametral entgegen, teilweise sind sie auch schlicht nicht ernst zu nehmen. Wenn Pollmer etwa versucht, die Empfehlung von fettarmer Kost durch Ärzte und Ernährungsexperten dadurch zu diskreditieren, dass er „Boshaftigkeit“ als wesentliche Triebkraft dahinter vermutet, und zwar weibliche, nimmt seine Argumentation fast verschwörungstheoretische Züge an: „Die Ernährungsberatung wird von Frauen ausgeübt“, denen es darum gehe, „Konkurrentinnen zu eliminieren“. Auch gegenüber der vegetarischen Ernährung, deren gesundheitliche Vorteile inzwischen allgemein anerkannt sind, pflegt Pollmer die wohl denkbar primitivsten Vorurteile: „Die ganzen Ernährungsbeiträge kommen doch mit der Attitüde daher ‚Wer sich vegetarisch ernährt, ist etwas Besseres als die ganzen Arschlöcher die einer normalen Arbeit nachgehen und dafür Power brauchen‘. Wir sind allerdings erwiesenermaßen Säugetiere, also ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir das, was wir zum Leben benötigen, in schmackhaften Säugetieren vorfinden. Zumindest erheblich größer, als dass wir es in einer Staude am Wegesrand antreffen.“ [2] Solch offensichtlicher Blödsinn bedarf wohl keiner Widerlegung.

In dem Öko-Test-Heft über „Lebensmittel-Zusätze“ macht Udo Pollmer im Zusammenhang mit Glutamat/Glutaminsäure Aussagen, die erwiesenermaßen falsch sind; er schreibt: „Geschmacksverstärker können bei empfindlichen Europäern das ,China-Restaurant-Syndrom‘ auslösen: Schläfendruck, Kopfschmerzen, Steifheit im Nacken.“ – Das sogenannte „China-Restaurant-Syndrom“ hat sich längst als ein moderner Mythos herausgestellt. Dass die beschriebenen Symptome nicht mit Glutamat zusammenhängen können, wurde in einer Doppelblind-Placebo-Studie wissenschaftlich bewiesen. [3] Es gibt bis heute keine einzige wissenschaftliche Studie, die darauf hinweist, dass Glutamat aus der Nahrung gesunden Menschen in irgendeiner Art und Weise schaden könnte. Glutamat als „Geschmacksverstärker“ zu bezeichnen, ist übrigens eigentlich auch nicht korrekt. Vielmehr lösen die Salze der Glutaminsäure an eigens dafür empfänglichen Geschmacksrezeptoren einen eigenen Geschmack aus – in Japan wird dieser traditionell als „umami“ bezeichnet. Im Jahr 2002 wurden diese Rezeptoren in den Geschmacksknospen der Zunge entdeckt – sie tragen den Namen T1R1 und T1R3 –, umami ist seither wissenschaftlich als fünfter Geschmack akzeptiert. [4] Wir lernen ihn von klein auf zu lieben: Muttermilch enthält doppelt so viel natürliches Glutamat wie Kuhmilch!

Verbrauchertäuschung?

Zu Hefeextrakt schreibt Pollmer: „Inzwischen werden Hefeextrakte und Autolysate hergestellt, die frei von einer Hefenote sind und als reine Geschmacksverstärker wirken. Durch gezielte Manipulation der Produktionsbedingungen lassen sich neue Geschmacksrichtungen ,einbauen‘. Der Anwender kann heute zusätzlich wählen zwischen ,Rindersuppe‘, ,Brathuhn‘ oder ,Gemüsebrühe‘, obwohl die Produkte nie mit dem namensgleichen Rohstoff in Berührung gekommen sind. […] Echter Hefeextrakt ist ein bewährtes Würzmittel mit typischem Hefegeschmack. Wenn er aber zur Geschmacksverstärkung eingesetzt wird, handelt es sich aus unserer Sicht um eine Verbrauchertäuschung.“ – Hier ist Pollmer gar nicht auf dem neuesten Stand: In der aktuellen Verordnung EG Nr. 1334/2008, die seit 2011 gilt, ist auch der Begriff „natürlicher Aromastoff“ geregelt, worunter auch aus Hefeextrakt gewonnene Aromen fallen. Nach der neuen Kennzeichnungsverordnung 1169/2011 muss ein Stoff in der Zutatenliste als „Aroma“ kenntlich gemacht werden, wenn er diese Funktion erfüllt, also einem Lebensmittel einen bestimmten Geruch und/oder Geschmack verleiht. Für Hefeextrakt gilt demnach: Wenn der Grund für die Beigabe zu einem Lebensmittel hauptsächlich der Geschmack „Rind“, „Huhn“ etc. ist, dann muss „(natürliches) Aroma“ ausgewiesen werden.

Die Behauptung, es handle sich um „Verbrauchertäuschung“, wenn Hefeextrakt als ein Beitrag zum Geschmack eingesetzt wird, entbehrt jeglicher Grundlage. Wer nicht zwischen industriell hergestelltem Glutamat, das Produkten in einer Menge von bis zu 10 Gramm pro Kilogramm beigefügt werden kann, und dem ausgewogenen und vollkommen unbedenklichen Einsatz von Lebensmitteln, die natürliches Glutamat enthalten – wie beispielsweise Tomaten, Pilze, Sonnenblumenkerne, Hefeerzeugnisse oder Sojasauce –, in Naturprodukten differenziert, kann sich zum Thema nicht richtig informiert haben. Hefeextrakt ist eine reichhaltige Mischung verschiedener Aminosäuren, Kohlenhydrate, Vitamine und Mineralien – der Anteil an natürlich vorkommendem Glutamat in Hefeextrakt beträgt in der Regel fünf Prozent. Da Hefeextrakt einen starken Eigengeschmack hat, wird es nur in niedrigen Dosen verwendet. Schon eine geringe Menge erzielt eine große Wirkung für den besonderen, herzhaften Geschmack – für gewöhnlich beträgt die Konzentration an Hefeextrakt in Speisen weniger als ein Prozent. Wenn Hefeextrakt deshalb als Geschmacksverstärker aufgefasst wird, dann trifft das Gleiche auch für Lebensmittel wie etwa Tomaten, Erbsen und Parmesankäse zu. All das weiß Pollmer im Prinzip auch; in einem Radio-Interview sagte er vor zwei Jahren: „Wenn einer sagt, wir nehmen keinerlei Stoffe, die geschmacksverstärkend wirken, keinerlei Zusätze, dann können wir darüber reden. Aber wenn er sagt, wir nehmen stattdessen Parmesan, wo das drin ist, oder Tomatenmatsche, wo das drin ist, ist das auch in Ordnung, weil dann auch eine, wie soll ich sagen, sensorische Kontrolle erfolgt. Das heißt, ich kann davon nicht beliebig viel hineintun, dann wird es dem Kunden zu viel, und das kostet außerdem noch Geld.“ [5]

Viehfutter?

Schließlich lässt Pollmer sich auch noch über Weizeneiweiß aus; zu diesem Thema schreibt er: „Bei der Gewinnung von Stärke aus Weizenmehl fallen erhebliche Mengen an Weizeneiweiß (Gluten) an. Dieses wird entweder als Viehfutter, zur Herstellung von Würze oder als Backmittel verwendet.“ – Es stimmt, dass zur Gewinnung von Stärke aus Weizen diese mit Hilfe von Wasser aus dem Weizenmehl gewaschen wird; das bei der Auswaschung verbleibende Weizenprotein wird getrocknet und zu Glutenmehl vermahlen, das in verschiedenen Bereichen eingesetzt wird. Bei Pollmer klingt das allerdings so, als ob Weizeneiweiß quasi ein Abfallprodukt der Stärke-Herstellung darstelle, es wird suggeriert, dass es nicht zu viel mehr zu gebrauchen sei als für „Viehfutter“. Es ist richtig, dass das proteinreiche Mehl auch in Tierfutter Verwendung findet. Aber: Es gibt auch eine sehr lange Tradition im Naturkostbereich, in der Weizeneiweiß aus Getreide, das aus biologischer Landwirtschaft stammt, zu hochwertigen Lebensmitteln verarbeitet wird. Die Geschichte des Gebrauchs von Weizeneiweiß in der menschlichen Ernährung beginnt schon im China des 6. Jahrhunderts, und bei der Seitan-Herstellung handelt es sich um einen inzwischen schon jahrhundertealten Brauch. Weizeneiweiß wird schon seit sehr langer Zeit weithin von Buddhisten an Stelle von Fleisch verwendet. Erst kürzlich haben wir diese originär vegetarische Tradition ausführlich in einem Text behandelt. [6]

Grammatikalisch mehr als holprig geht es in dem Abschnitt über Gluten dann bei Pollmer weiter: „Auch natürliche Bestandteile von Grundnahrungsmittel können Risiken bergen. Früher wurde dieses Risiko offenbar durch die übliche aufwendige Fermentationen von Weizenteigen vermindert, denn diese führten zum Abbau problematischer Eiweißstrukturen.“ – Hier ist überhaupt nicht benannt, welche Risiken – außer natürlich für die 0,2-1 Prozent Zöliakie-Patienten – das sein sollen, die Weizeneiweiß angeblich bergen soll, und es wird nicht erläutert, welche „problematischen Eiweißstrukturen“ durch sie abgebaut worden sein sollen. Um überhaupt wissen zu können, wovon Pollmer hier spricht, bräuchten wir Hinweise darauf, auf welche Studien oder Forschungen er sich überhaupt bezieht. Die Arbeit, die Pollmer bei der Zusammenstellung des Heftes über „Lebensmittel-Zusätze“ für Öko-Test abgeliefert hat, ist aus unserer Sicht amateurhaft und in Teilen nachweisbar falsch.