Am 1. November ist Weltvegantag

Am 1. November ist Weltvegantag! Er wurde 1994 anlässlich des 50. Jahrestags des Bestehens der britischen Vegan Society ins Leben gerufen. Diese wurde 1944 von Donald Watson gegründet. Auch in Deutschland finden am Weltvegantag seit Jahren Informationsveranstaltungen und Aktionen in zahlreichen Städten statt, die zeigen, wie abwechslungsreich und genussvoll eine vegane Ernährungsweise sein kann, und dass sie nichts mit Verzicht zu tun hat! Im folgenden Beitrag schildern wir, wie es vor 77 Jahren zur Begründung des modernen Veganismus kam.

Leicester, Evesham Road 67, 24. November 1944: Donald Watson, 34 Jahre alt, im Hauptberuf Lehrer für Holzarbeiten, sitzt vor seiner Schreibmaschine. Er beginnt zu tippen – das Thema: Milchproduktion. „Viele von uns akzeptierten als Lakto-Vegetarier jahrelang, dass die Fleisch- und die Milchindustrie miteinander in Verbindung stehen und dass sie sich in gewisser Weise gegenseitig subventionieren“, schreibt er in den ersten „Vegan News“ der Welt. Doch damit ist es jetzt vorbei: Zusammen mit an­de­ren „non-dairy vegetarians“ aus verschiedenen Teilen Englands hat er eine Gruppe gegründet, deren Ziel es ist, aufzuzeigen, dass ein Vegetarismus, der noch Milch oder Eier beinhaltet, nur ein Zwischenschritt hin zu einer „wirklich humanen, zivilisierten Ernährung“ sein kann – ohne Tierprodukte. „Das ist echte Pionierarbeit, und wenn wir gut zusammenarbeiten, werden wir mit Sicherheit einen sozialen Fortschritt erleben, und vielleicht werden wir einige sonst un­zu­gäng­lich bleibende diätetische Wahrheiten enthüllen“, meint er. Damit wird er Recht behalten.

Watson kommt aus der Friedensbewegung, ist Kriegsdienstverweigerer. Veganismus ist für ihn auch ein Statement für Gewaltverzicht und Ausdruck seines Strebens hin zu einer humaneren Gesellschaft. „Wir können ganz deutlich sehen, dass unsere gegenwärtige Zivilisation auf der Aus­beu­tung von Tieren aufgebaut ist, genauso wie vergangene Zivilisationen auf der Aus­beu­tung von Sklaven aufgebaut wurden“, tippt er. Es werde die Zeit kommen, in der man mit Ab­scheu darauf zurückblicken wird, „dass Menschen sich einst von den Pro­dukten des Tier­kör­pers ernährt haben“.

Die Mitglieder der ersten Vegan Society sind in verschiedenen Vegetarier-Organisationen tätig. Im August haben sie zunächst darüber debattiert, eine eigene Sektion innerhalb der britischen Ve­ge­ta­risch­en Gesellschaft aufzumachen; schließlich wird beschlossen, eine eigene Or­ga­ni­sa­ti­on zu gründen. Anfang November trifft Watson sich mit fünf Gleichgesinnten im Attic Club, einem vegetarischen Café und Restaurant im Londoner Stadtteil Holborn. Hier wird die Vegane Gesellschaft gegründet – die zu diesem Zeitpunkt noch nicht so heißt. „Quarterly Ma­ga­zine of the Non-Dairy Vegetarians“, tippt er als Untertitel auf die erste Seite des neuen Ver­eins­ma­ga­zins; „Wanted – A Name“, heißt es auf der zweiten. „Non-Dairy“, also „ohne Milchprodukte“, habe sich etabliert und sei allgemeinverständlich, klinge aber zu negativ: „Wir brauchen einen Namen, der klarmacht, was wir essen, und wenn möglich einen, in dem mitschwingt, dass die Na­tur uns trotz des Tabus aller tierischen Nahrung ein verblüffendes Sortiment anbietet, aus dem wir wählen können.“ Er schlägt einen Namen vor, den er und seine ebenfalls in der Sache aktive Frau Dorothy klar bevorzugen: „Da diese erste Ausgabe unserer Zeitschrift einen Namen brauchte, habe ich den Titel ‚The Vegan News‘ benutzt. Sollten wir ihn annehmen, wird unsere Kost­form bald als vegane Kostform bekannt werden, und wir sollten nach dem Rang von Veganern streben.“ Das Wort wurde aus den Anfangsbuchstaben und dem Ende von „ve­ge­ta­ri­an“ zusammengesetzt, weil „Veganismus mit Vegetarismus beginnt und ihn zu seinem lo­gi­sch­en Ende führt“, wie Watson später einmal sagte. Den Titel des neuen Magazins fügt er dann handschriftlich ein: „The Vegan News“, das „The“ klein oben links. Die vier Seiten des ers­ten Ve­gan-Magazins der Welt vervielfältigt er mit einer Matrize.

Außer ihm sind 24 weitere Mitglieder an der Gründung beteiligt, von denen manche bereits ein paar Jahre, andere erst ein paar Wochen vegan leben. Vegetarier ist Watson schon mit 14 Jahren geworden. Damals, als Kind und Jugendlicher, ist er oft auf dem Bauernhof seines On­kels gewesen. In einem Interview erzählt er: „Ich war umgeben von interessanten Tieren. Sie ‚gaben‘ alle etwas: Ein Pferd zog den Pflug, ein anderes zog den Einspänner, die Kühe gaben Milch, die Hennen gaben Eier und der Hahn war eine nützliche Alarmanlage – zu dieser Zeit hat­te ich noch nicht erkannt, dass er auch noch eine andere Funktion innehatte. Die Schafe ga­ben Wolle. Ich konnte nie verstehen, was die Schweine hergaben, aber sie waren so freund­liche Kreaturen – immer froh, mich zu sehen. Dann kam der Tag, an dem eines der Schweine ge­tötet wurde: Ich erinnere mich noch lebhaft an den ganzen Prozess – natürlich auch an die Schreie. Eine Sache, die mich schockierte war, dass mein Onkel George, von dem ich sehr viel hielt, Teil der Crew war. Ich entschied, dass Bauernhöfe – und Onkel – neu bewertet werden mussten: Die idyllische Szene war nichts weiter als ein Todestrakt, wo die Tage eines jeden Lebewesens gezählt waren an dem Punkt, an dem es den Menschen nicht mehr nützlich war.“

Danach, am Neujahrstag 1924, wird Watson Vegetarier; Anfang der 40er-Jahre schließlich Ve­gan­er. Er fährt gut damit: In der ersten Ausgabe der „Vegan News“ berichtet er, er könne nun 230 Meilen am Tag radeln, dagegen sei er vor Jahren, als er noch Milch und Eier zu sich nahm, nach der Hälfte dieser Entfernung „bereit für ein Bed & Breakfast“ gewesen. Aber man müsse mit solchen Aussagen vorsichtig sein: „Sonst hört die Welt von uns und erwartet acht Fuß gro­ße Muskelmonster mit rosigen Wangen, die gegen alle Krankheiten immun sind.“ Acht Fuß – das sind immerhin fast 2,44 Meter. Als die größte Errungenschaft seines Lebens hat Watson im Jahr 2002 bezeichnet, „maßgeblich an der Gründung einer neuen großen Bewegung be­teiligt ge­we­sen zu sein, die das Potential hat, das Leben von Menschen und Tieren auf die­sem Pla­ne­ten zum Positiven zu verändern und das Überleben der Menschheit zu verlängern“.

Watson wird, bei guter Gesundheit, 95 Jahre alt. 2005 ist er gestorben – er hat also noch mit­er­lebt, wie aus der veganen Idee eine Bewegung geworden ist. Im Jahr 1978 betrug die Auflage der Zeitschrift der Vegan Society schon 2700 Stück. Und auch die Medien wurden vereinzelt be­reits aufs Thema aufmerksam – so berichtete etwa das britische öffentlich-rechtliche Fern­seh­en 1976 ausführlich über eine vegane Familie; und gleich zu Beginn der BBC-Sendung wur­de auf die Entstehungsgeschichte der Veganen Gesellschaft eingegangen. Von England aus­gehend, be­gann der moderne Veganismus langsam seinen Siegeszug.