Was draufsteht, muss auch drin sein?

Begriffe wie „vegetarisches Schnitzel“ sind für Christian Schmidt „komplett irreführend und verunsichern die Verbraucher“. Das verkündete der Bundesagrarminister passenderweise in einem Interview mit der Bild. Im öffentlichen Diskurs stieß seine Ansicht auf wenig Verständnis. Der Spiegel findet seinen Vorstoß „dreist“: Offensichtlicher könne sich ein Politiker kaum zum Lobbyisten einer Branche machen, so das Magazin. Das Handelsblatt kommentiert, der CSU-Mann verwechsle offenbar Lobbyismus mit Politik und verkaufe die Konsumenten für dumm. Immerhin aber sei Schmidts Vorgehen konsequent: „Denn durch seine ganze bisherige Amtszeit zieht sich ein roter Faden: Der frühere Verteidigungsexperte der CSU sieht sich offenbar als Sturmgeschütz der deutschen Fleischindustrie“, so die Tageszeitung. Entsprechend ist sich der Minister nicht zu schade, völlig weltfremde Vorschläge auf den Tisch zu bringen wie etwa eine „Schweinefleischpflicht“ an deutschen Schulen.

Mit seinem neuesten Vorstoß hat er die Belange des Deutschen Fleischer-Verbands und des Deutschen Bauernverbands, welche die beiden Organisationen im April 2016 formulierten, eins zu eins übernommen. In Niedersachsen, einer Hochburg der Fleischproduktion, übernahm die CDU deren Forderungen bereits im Oktober. In Schmidts Landwirtschaftsministerium beschäftigt sich inzwischen eine eigene Arbeitsgruppe mit dem Thema. Ihr gehe es, wie ein Sprecher erklärte, um „Klarheit und Wahrheit“. „‚Das ist ein ernsthaftes Ansinnen‘, fühlt er sich genötigt zu betonen, als Journalisten ihn nach Fleischtomaten und österreichischen Palatschinken fragen“, berichtete sogar agrarheute.com, ein Nachrichtenportal für die Landwirtschaft, das dem Bauernverband nahesteht. Den hehren Kampf des Ministeriums für „Wahrheit“ nimmt also kaum jemand ernst.

„Was draufsteht, muss auch drin sein“, so die Forderung Schmidts. Gerne wollen wir ihm bei der Wahrheitsfindung behilflich sein: Herr Minister, weshalb nennt man in Ihrer Heimat Bayern eigentlich etwas „Leberkäse“, das weder Leber noch Käse enthält? Und was um Himmels Willen sind denn „Fleischpflanzerl“? Woraus bestehen „Kalbsvögerl“ und „Schweinsfischerl“? Sind Meeresfrüchte und Fleischsalat nun pflanzlich oder nicht? Ist in der Teewurst vielleicht gar kein Tee, in der Bierwurst kein Bier? Ja, sollten am Ende in der Bärchenwurst gar keine Bären sein?

Offenbar haben wir es hier mit einem Skandal geradezu ungeheuerlichen Ausmaßes zu tun. Um nur einige Beispiele zu nennen: Es gibt „Gemüsefrikadellen“ zu kaufen, die Geflügel- oder Schweinefleisch enthalten, Schweinsohren aus Blätterteig – ohne ein Gramm Schwein –, Schillerlocken ohne Fisch, Zimtschnecken ohne Schnecken, Lebkuchenherzen, die rein gar nichts vom Herz enthalten. Und was ist mit Kinderschokolade, Goldbären, Katzenzungen, Alsterwasser, Marzipankartoffeln und Marmorkuchen? Damit dürfte das Ministerium erst einmal vollauf beschäftigt sein. Auch gut – so kann es zumindest nichts Schlimmeres anrichten.

Worüber sich der Klüngel aus Staatsdienern und Fleisch-Lobby allerdings einmal ernsthaft Gedanken machen könnte: Sollte eine Branche, die glückliche Tiere und ländliche Idyllen auf Packungen von Produkten drucken lässt, die aus Massentierhaltung stammen, vielleicht nicht ein kleines bisschen vorsichtiger mit dem Vorwurf „Verbrauchertäuschung“ umgehen? Stattdessen spuckt man große Töne: Mit Blick auf Veggie-Produkte wirft der Deutsche Fleischer-Verband die Frage auf, weshalb „missverständliche und aus reinen Marketinggründen erfundene Verkehrsbezeichnungen zulässig sein sollen“, DFV-Vizepräsident Konrad Ammon meint: „Wer auf eine Verpackung draufschreibt, was nicht drin ist, macht sich der Verbrauchertäuschung verdächtig.“

Aber wir wollen ja mal nicht so sein: Wie wäre es mit einer Kompromisslösung? Mit einer neuen Regelung im Sinne Schmidts wären wir einverstanden, wenn im Gegenzug herkömmliche Fleisch- und Wurstwaren klar und unmissverständlich gekennzeichnet würden. Einen entsprechenden Vorschlag von Die PARTEI halten wir für vielversprechend; auf Wurst würde demnach künftig stehen: „Zerstückelte Tierleichen mit Innereien und Blut in Enddarm gefüllt“.

Eigentlich macht uns der aktuelle Vorstoß der Fleisch-Lobby, der, anders als im Molkereibereich, kaum Aussichten auf Erfolg haben wird, fast schon zuversichtlich: Er zeigt schließlich, dass die Tierindustrie es angesichts der immer besser werdenden pflanzlichen Alternativen zu Fleisch, die nicht nur ohne die Tötung von Tieren auskommen, sondern auch gesünder und umweltfreundlicher sind, mit der Angst zu tun bekommt.

Bild oben: Unsere vegane Wurst als „Gefahr für die echte“: Die Fleisch-Lobby bekommt offenbar Angst. Mehr dazu hier.