Kommentar: Politische Dürre

„Getreide wird teurer“, „Gutes Korn ist Gold wert“, „Weizenpreise klettern auf Rekordniveau“ – so und ähnlich titeln die Zeitungen dieser Tage. Weizen verteuerte sich allein seit Juni um 50 Prozent, die UNO warnt inzwischen vor einer Lebensmittelkrise. Ein Grund dafür sind die Dürren in den Kornkammern der USA und Osteuropas. Doch daneben gibt es weitere Gründe. „Dürre kann man nicht ändern – Spekulation wohl“, meint Foodwatch. Im Report Die Hungermacher warf die Verbraucherorganisation im letzten Jahr die Frage auf: „Boomende Rohstoffmärkte und wachsende Not auf der einen, euphorische Investoren und ihre Milliardengewinne auf der anderen Seite – die parallelen Entwicklungen legen einen Verdacht nahe, der ebenso simpel wie ungeheuerlich ist: Macht da die kleine Minderheit der Reichen ihre Geschäfte mit der Not der großen Mehrheit?“ Vertreter von Banken wiegelten ab: Der Aufstieg der Schwellenländer sei die zentrale Ursache für die Preissteigerungen. „Diese langfristigen Trends, einschließlich des zunehmenden Fleischkonsums der wachsenden Mittelschichten in den Schwellenländern und der zunehmenden Nutzung von Bio-Treibstoffen in den Industriestaaten, sind der Hintergrund für den globalen Mangel an Nahrung“, ließ Goldman Sachs, die im Rohstoffhandel führende US-Investmentbank, verlauten. Das zweitgrößte deutsche Geldhaus, die Commerzbank, reagierte dagegen vor Kurzem auf die Kritik, indem es Grundnahrungsmittel aus seinen Anlageprodukten strich. Sicher spielen alle genannten Umstände zusammen – und ergeben ein „giftiges Gemisch aus menschlichem Leid und sozialem Aufruhr“, so Robert Zoellick, damals Weltbank-Chef, im letzten Jahr. Schon als 2008 die Nahrungsmittelpreise gestiegen waren, kam es in vielen Ländern zu Unruhen.

In einem Gastbeitrag der britischen Financial Times forderte der Direktor der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO, José Graziano da Silva, die USA nun dazu auf, vorübergehend auf die Subventionierung der Ethanolindustrie zu verzichten, wo Getreide nicht zur Produktion von Lebensmitteln, sondern von Kraftstoff eingesetzt wird – würde auf sogenanntes Bioethanol verzichtet, stünde mehr Getreide für Nahrungs- und Futtermittel zur Verfügung. „Nachwachsend“ heißt eben nicht „nachhaltig“.

Ebenso forderte der deutsche Entwicklungsminister Niebel nun einen Verkaufsstopp des Biosprits E10. Er sprach von einem „Konflikt zwischen Tank und Teller“. Denn auch in Deutschland werden inzwischen auf rund zwei Millionen Hektar Energiepflanzen angebaut – eine Fläche, die so groß ist wie Rheinland-Pfalz und einem Sechstel aller deutschen Äcker entspricht. Hier wird nicht nur E10 produziert, viele landwirtschaftliche Betriebe sind außerdem auf den staatlich subventionierten Pfad der Biogas-Erzeugung eingeschwenkt. Als Folge nehmen Ackerflächen für die Produktion von hochwertigen Lebensmitteln für die direkte Ernährung ab. Für TOPAS ist es deshalb aktuell nicht mehr möglich, den Bedarf des Hauptrohstoffs für die Wheaty-Produkte, Weizeneiweiß aus biologischer Landwirtschaft, wie früher ausschließlich aus deutscher Erzeugung zu decken.

Ein grundlegendes Umdenken, was unseren Umgang mit Lebensmitteln angeht, ist längst überfällig. Dass angesichts der Tatsache, dass eine Milliarde Menschen hungern, weil sie nicht über genügend Geld verfügen, um Grundnahrungsmittel zu kaufen, diese nicht Gegenstand von Börsenspekulationen sein sollten, versteht sich eigentlich von selbst.
Auch die Biosprit-Produktion hat sich als nicht effizient erwiesen: Lediglich zwei Promille der in der Pflanze gespeicherten Sonnenenergie finden sich in dem Benzin beigemischten Ethanol wieder – wenn man auf der Fläche, auf der Pflanzen für Biosprit produziert werden, Solarzellen aufstellen würde, wäre der Energieertrag um den Faktor 600 höher. – Allerdings: Von der deutschen Getreideernte gingen im vergangenen Jahr nur etwa vier Prozent in die Bioethanolproduktion. Ein E10-Verbot lediglich in Deutschland bliebe daher ohne Auswirkungen auf die Entwicklungsländer.

Auffällig an der dezeitigen Mediendebatte ist: Die weitaus größere Verschwendung von Lebensmitteln wird politisch kaum thematisiert. Martin Hofstetter, gelernter Landwirt und Agrarexperte bei Greenpeace, sprach es kürzlich in einem Interview vorsichtig an. Es geht um den Beitrag zur Verknappung von Getreide auf dem Weltmarkt durch die Einführung riesiger Mengen an Futtermitteln. Hofstetter beschreibt die Situation folgendermaßen: „Man kann die Agrarimporte und -exporte umrechnen und kommt in der Summe auf netto 35 Millionen Hektar, die die EU extern für ihren Bedarf nutzt. Das entspricht ziemlich genau der Gesamtfläche Deutschlands. Da sind natürlich auch die Flächen für Tee, Kaffee und ähnliches mit drin, aber vor allem kommt dieser große Flächenbedarf durch die Futtermittel zustande. Ehrlicherweise muss man sagen, dass das im Vergleich zum Biokraftstoff der größere Posten ist. Um da etwas zu ändern, müsste hierzulande weniger Fleisch produziert und verzehrt werden. Doch das wird nicht so schnell umzusetzen sein.“

Bei der Erkenntnis, dass eine auf Tierhaltung basierende Wirtschaft gar nicht nachhaltig sein kann, handelt es sich um eine so einfache wie alte Rechnung. So stellte schon Alexander von Humboldt (1769-1859), Mitbegründer der Geographie und Vordenker einer globalisierten Wissenschaft, fest: „Dieselbe Strecke Landes, welche als Wiese, d.h. als Viehfutter, zehn Menschen durch das Fleisch der darauf gemästeten Tiere aus zweiter Hand ernährt, vermag, mit Hirse, Erbsen, Linsen und Gerste bebaut, hundert Menschen zu erhalten und zu ernähren.“ Spätestens angesichts der auf uns zukommenden katastrophalen globalökologischen und -ökonomischen Auswirkungen der industriellen Tierhaltung wäre zumindest eine stärkere Förderung jener Bereiche, in denen daran gearbeitet wird, diese überflüssig zu machen, angebracht. Letztlich wäre eine, wie die Umweltorganisation der UNO es 2010 formuliert hat, „weltweite Ernährungsumstellung weg von Tierprodukten“ notwendig. Und doch herrscht gerade hier politische Dürre: Wider besseres Wissen werden ausgerechnet jene Bereiche, in denen pflanzliche Lebensmittel massiv verschwendet werden, staatlich subventioniert – allein der Bau großer Mastanlagen wurde einer Studie des BUND zufolge in den Jahren 2008 und 2009 mit durchschnittlich etwa 80 Millionen Euro bezuschusst.