Auf Initiative des Bunds für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) haben sich in Berlin Experten aus allen Bereichen der Lebensmittelwirtschaft getroffen, um die im Vorfeld in einem kleineren Kreis entwickelten neuen „Leitsätze für vegane und vegetarische Lebensmittel mit Ähnlichkeit zu Lebensmitteln tierischen Ursprungs“ zu erörtern. Auch wir waren mit dabei.
Es mag Außenstehende überraschen, doch seit sehr langer Zeit kümmert sich ein Gremium aus Vertretern der konventionellen Lebensmittelindustrie, gemeinsam mit Abgesandten unterschiedlichster Verbände, um Ordnung im Supermarktregal. Nun hat man sich bei der Deutschen Lebensmittelbuchkommission (DLMBK) der stetig wachsenden Zahl von Angeboten im Bereich veganer/vegetarischer Fleisch-Alternativen gewidmet und entsprechende Leitsätze beschlossen. Am 8. März trafen sich in Berlin auf Initiative des BLL Experten aus allen Bereichen der Lebensmittelwirtschaft, um die im Vorfeld in einem kleineren Kreis entwickelten Leitsätze zu erörtern. Es kam schließlich nicht von ungefähr, dass die erstmals für diese Produktkategorie niedergeschriebenen Richtlinien sowohl auf der Herstellerseite als auch bei den für die Überwachung zuständigen Institutionen für Unruhe und Fragezeichen gesorgt hatten.
Irreführend?
Das Ernährungsverhalten der Deutschen verändert sich seit Jahren. Zucker- und Salzanteile werden immer stärker reduziert, Lebensmittelampeln sind auf dem Weg, und gerade auch der Konsum tierischer Lebensmittel geht von Jahr zu Jahr kontinuierlich zurück. Aus der Biobranche heraus erobern sich Fleisch-Alternativen auf pflanzlicher Basis nicht unbedeutende Markt- und Umsatzanteile, seit einiger Zeit auch in den konventionellen Supermärkten. Darauf wollte die Industrie reagieren; auf Initiative des ehemaligen Landwirtschaftsministers Schmidt, des Deutschen Fleischer-Verbandes und des Deutschen Bauernverbandes wurde im März 2016 die deutsche Lebensmittelbuchkommission beauftragt, sich mit Kennzeichnungsfragen bei pflanzlichen Produkten „mit Ähnlichkeit zu Lebensmitteln tierischen Ursprungs“ zu beschäftigen. Im Ergebnis sollte ein eigener Leitsatz stehen, der Sicherheit für die Hersteller bringt und vor allen Dingen die Konsumenten vor Fehlkäufen schützen wollte. „Diese Begriffe sind komplett irreführend und verunsichern die Verbraucher. Ich setze mich dafür ein, dass sie im Sinne einer klaren Verbraucherkennzeichnung verboten werden“, so der damalige CSU-Minister in einem Interview mit der BILD-Zeitung.
Quasi als Mittler hatte es sich nun der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde sehr engagiert zur Aufgabe gemacht, bei dem als Workshop initiierten Treffen am 8. März Lösungen für die Anwendung der Leitsätze zu erarbeiten. Im Rahmen kompakter Vorträge beschäftigten sich namhafte Referenten mit den Inhalten, aber auch der Rechtsstellung an sich. Denn bereits hier sah zum Beispiel Professor Dr. Wolfgang Voit von der Forschungsstelle für Lebensmittelrecht der Universität Marburg ein Problem und bezeichnete die Leitsätze als „untergesetzliches Regelwerk“. Nur bei Akzeptanz des Leitsatzes in der Praxis, so Professor Voit weiter, werde sich die Verkehrsauffassung wie im Leitsatz beschrieben entwickeln, sieht doch die Rechtsprechung die Leitsätze als unverbindliche, antizipierte Sachverständigengutachten an.
Was ist hinreichend?
Ein weiteres Problem zeigte Christian Struck, Vorsitzender des Arbeitskreises Lebensmittelchemischer Sachverständiger, auf, indem er auf zukünftige Herausforderungen für Hersteller und Überwacher hinwies; schon Ähnlichkeitskriterien als zentraler Anker wären beispielsweise bei der Sensorik schwierig, da subjektiv. Darf ein „Ersatzprodukt“ nur dann die Bezeichnung seines fleischhaltigen Äquivalents im Produktnamen tragen, wenn der Prüfer hinreichende Ähnlichkeiten attestiert? Was aber ist hinreichend? Es wurde das Beispiel der originalen Fleisch-Salami genannt, die es in völlig unterschiedlichen Qualitäten und Preisklassen im Handel gibt, und die auch in den Bereichen Sensorik und Geschmack große Unterschiede aufweisen kann. Schon hier gibt es also kein wirklich homogenes Produktmuster, das zum Beispiel ein Prüfer als Referenz heranziehen kann. Zum Abschluss seines Vortrages suchte Christian Struck nach Lösungsansätzen, die zwar die Diskussion beförderten, aber auch weitere Fragen aufwarfen.
Auch der zweite Rechtsexperte, Rechtsanwalt Dr. Coman, wies darauf hin, dass bei prominenter Kennzeichnung des Lebensmittels als vegan/vegetarisch eine Täuschung des Verbrauchers im Sinne der LMIV ausgeschlossen sei. Bei prägenden Leitsätzen sei zu prüfen, ob diese bereits zu einer Etablierung der „zu prägenden Verkehrsauffassung“ geführt haben, z. B. weil die prägenden Vorgaben bereits von der überwiegenden Anzahl der Verkehrsteilnehmer umgesetzt werden und eine angemessene Zeit vergangen ist. Nur dann darf der jeweilige Leitsatz im Rahmen einer rechtlichen Bewertung berücksichtigt werden. Allerdings benannte Dr. Coman nicht den Zeitraum für „angemessene Zeit“. Das ist womöglich für spätere Klagen vor Gericht nicht unerheblich, sind doch einige der Hersteller veganer oder vegetarischer Fleisch-Alternativen seit teilweise mehr als zwei Jahrzehnten mit ihren Produkten am Markt.
Schwer nachvollziehbar
Valentin Jäger vom Tofu-Produzenten Taifun stellte in seinem Vortrag die generelle Umsetzbarkeit der Leitsätze ebenfalls in Frage und fragte nach dem „Safe Harbour“ für Verbraucher, Hersteller und Handel. Nicht nur, weil die Leitsätze erstmals in der Geschichte der DLMBK in diesem Ausmaß prägend in eine bis dato unproblematische Verkehrsauffassung eingreifen wollten. Auch sei es für Hersteller schwer nachvollziehbar, unter welchen Kriterien Produkte hinreichende Ähnlichkeit besäßen, um bei Anwendung der Leitsätze weiterhin ihre traditionellen Namen nutzen zu dürfen. Der Verbraucher sei die Bezeichnungen gewohnt, zudem gäbe es laut Erhebungen keinerlei bewiesene Fälle der Verbrauchertäuschung und die Kosten für Hersteller und auch Händler wären immens und stünden in keinem Verhältnis zum kolportierten Nutzen.
Zusammenfassend zeigte der Workshop eklatante Unsicherheiten in der Umsetzbarkeit der Leitsätze auf. Einige positive Aspekte, wie eine Feststellung der allgemeinen Verkehrsauffassung zu den Begriffen „vegan/vegetarisch“, wurden von den meisten Teilnehmern begrüßt. Wie die betroffenen Unternehmen künftig bei der Bezeichnung ihrer Produkte rechtssicher vorgehen können, bleibt jedoch offen. Ob es hier eventuell sogar zu Rechtsstreitigkeiten kommen kann, wird wohl die Zeit zeigen. Die zuständigen Prüfer jedenfalls sehen sich mit einer großen Herausforderung konfrontiert, müssen sie doch zuvorderst im Interesse des Verbrauchers agieren.
„Ich gehe nicht davon aus, dass die Hersteller etablierte Produkte nun auf gut Glück umstellen“, so Matthias Beuger, Geschäftsführer des zertifizierenden EcoVeg Siegels, „es gibt einfach zu wenig Klarheit in der Grundlage und auch bei den Verbrauchern würde dies mit Sicherheit zu großer Unsicherheit und Verwirrung führen.“
Pressemitteilung, 19. März 2019 (Matthias Beuger, Vegorganic e.V.)